Bey unserer Ankunft bey der grosen Armee am Abend des 6. Septfernher] trafen wir alles munter und guter Dinge. Die Nähe von Moskau, das Ende der Entbehrungen, das man von der Einnahme dieser Stadt erwartete, bey Manchem wohl auch die reiche Beute, auf die er rechnete, endlich vor Allem die Gelegenheit zur Auszeichnung, die der morgende
Tag ohne Zweifel in Fülle
darbot, hatte alle Gemüther erregt, und bey unserm Einzug in das Lager empfiengen wir von allen Seiten Glückwünsche über unsere zeitgemäße Ankunft. Es herrschte ein reges Leben, und wer nicht die meistens abgezehrten und blassen Gesichter betrachtete, hätte glauben können, er befinde sich in einem Lager, das an Genüssen aller Art Ueberfluß hat. Indessen waren die Waffen in brauchbaren Stand gestellt, und von oben herab kam der Befehl, sich bald zur Ruhe zu begeben, um morgen bey Zeiten das Tagwerk beginnen zu können. Viele legten sich sorglos und freudig nieder, und dachten nicht, daß dieß die lezte Nacht ihres irdischen Lebens sey, alle aber hatten nur Einen Gedanken, // S. 47// den, daß es so nicht länger mehr gehen könne, daß es besser werden müsse, durch die Eroberung von Moskau, wo nicht, doch durch den Uebergang in eine andere Welt. Die numerische Stärke der Armee war freilich sehr geschmolzen, aber die immer noch sehr bedeutenden Ueberreste bestanden aus den kräftigsten und erprobtesten Kriegern, und das feurige und kühne Auge in dem obgleich abgezehrten Gesichte versprach gewißen Sieg.
Vom 13. August an war mir nichts Erhebliches begegnet. Ich theilte Leiden und Freuden immer mit dem Regimente. Anfangs Mangel leidend, darauf im Ueberfluß lebend — was nemlich damals für Ueberfluß galt, Branntwein, Brod und Fleisch zur Nothdurft — endlich wieder der dringendsten Lebensbedürfnisse entbehrend, war ich zwar gesund, aber ziemlich kraftlos, ohne Subsistenzmittel
, bey der grosen Armee angekommen, und eine elende BrodSuppe mit einem Lichtstümpfchen geschmälzt, war die einzige Stärkung, die mir der Vorabend der grosen Schlacht darbot. Gleichwohl vergnügt, die Mahnungen meines Magens nur einigermaasen beschwichtigen zu können, genoß ich die eckle
Speise mit grosem Appetit, legte mich zur Ruhe nieder, und schlief gleich den Andern, so ruhig, wie wenn der folgende Tag ein gewöhnlicher, und seinen Brüdern wie ein Ey dem andern ähnlich seyn sollte.
Mit Tagesanbruch war die ganze Armee auf den Beinen. Schon fielen einzelne Flintenschüsse. Das Regiment saß auf, schloß // S. 48// sich an die 2. übrigen Regimenter der Brigade an.
Ein französischer Adjutant erschien, ein Papier in der Hand. Es enthielt die kurze, aber kräftige Proclamation Napoleons an seine Armee. Der Oberst las sie vor. Die Truppen wurden an ihre früheren Siege erinnert. Der Sieg und die Einnahme von Moskau verhießen das Ende der Leiden. Allgemein war der Enthusiasmus. Nicht lange, so fielen mehrere Kanonenschüsse, und die Schlacht begann. Auf allen Seiten donnerte das Geschüz. Oft war das Kleingewehrfeuer nicht mehr hörbar vor dem Gebrüll der Kanonen. Wir rückten in die Linie ein, und vor. Einzelne russische Kugeln begrüßten uns, das Handgemenge war vorne allgemein geworden. Wir standen in einem Hagel von Kartätschen.
Polnische Landers
waren geworfen, und kamen erst hinter unserer Fronte wieder zum Stehen. Wir waren im Begriff, anzugreifen, der Feind wartete es aber nicht ab, sondern gieng zurück, und Kartätschen von der einen, und Kanonenkugeln von der andern Seite wütheten in unsern Reihen. Ein Defilee vor uns wurde genommen. Schnell rückten wir durch dasselbe vor, in dessen Tiefe wir für einige Augenblicke Schutz fanden vor den Verheerungen des feindlichen Geschützes. Am jenseitigen Rande mähte die Kartätsche noch fürchterlicher unter uns, und wir rückten schnell vor. Mehrere Angriffe
der vor uns stehenden Reiterey wurden abgeschlagen, wir hielten, während auf andern Seiten die Infanterie ihre grausige Arbeit fortsetzte. Eine halbe Stunde //S. 49// lang waren wir einem mörderischen Feuer ausgesetzt. Endlich giengen wir wieder vorwärts, und grose Massen Cavallerie standen uns entgegen, deren Meister wir wohl nicht geworden wären. Vier und zwanzig Stücke Geschütz eilten herbey, und spielten auf die feindlichen Massen. Neun Regimenter kamen zu unserer Unterstützung, und mehrere feindliche Angriffe wurden glücklich abgeschlagen. Immer noch wüthete unter uns das Geschütz der Russen. Endlich waren die Hauptpositionen des Feindes genommen, und die russische Armee begann ihren Rückzug. Die Reiterey und Artillerie vor uns war nach und nach verschwunden. Das Kanonen- und KartätschenFeuer gegen uns hatte aufgehört. Noch spielte auf unserer Seite eine Batterie von 6. Stück, während in einem Gebüsche vor uns nur noch eine Abtheilung russischer Jäger stand, welche es auf die Offiziere abgesehen hatten. Neben mir ward ein Offizier verwundet, und im nämlichen Augenblick erhielt ich einen Prellschuß auf den Kopfreif meines Kaskets, der mich betäubte, und zu Boden stürzte. Die Schlacht war gewonnen, und nur noch einen Angriff machte das Regiment nach meiner Verwundung.
Es war halb 6. Uhr, als ich verwundet das Regiment verlassen mußte. Mit mir hatten an diesem Tage das gleiche Schicksal noch 4. Officiere des Regiments, und einer war geblieben.
Von den 180. Mann, die das Regiment Morgens noch zählte, war die Hälfte theils todt, theils verwundet. Unser Brigade- // S. 50// General und sein Nachfolger, der Divisions-General und seine 2. Nachfolger im Commando waren die 3. ersteren und der letzte blessirt, der 4.te todt. Der Corpscommandant, General Montbrun, ward von einer Haubitze getödtet.
Die Trophäen der Schlacht waren unbedeutend. Kaum einige 100. Gefangene, und nicht Eine brauchbare Kanone fielen in unsere Hände. Die Russen hatten mit groser Tapferkeit und Erbitterung gefochten, viele von ihnen waren betrunken. Achthundert Kanonen hatten von beyden Seiten den Tod verbreitet.
Der Verlust an Todten und Verwundeten belief sich auf beyden Seiten über 40,000 Mann, besiegt, aber nicht geschlagen zogen sich die Russen zurück.
Ich wurde zur württembergischen Ambulance zurückgebracht. Unterwegs kam ich an dem Kaiser vorbey. Er schien ziemlich kalt, und mochte wohl einen glänzenden Erfolg sich versprochen haben.
Der Regiments-Arzt Roos verband mich.
Viele Bekannte traf ich da, mehr oder minder schwer verwundet, mehrere verstümmelt, einige hatte schon ihren letzten Athem ausgehaucht. Ich gieng von einem Jäger, der mich unterstützte, begleitet, weiter zurück, hatte das Glück, etwas Brod und Branntwein für 2. preussische Thaler zu erhalten, und schlug mit andern württembergischen Verwundeten mein Nachtlager an einer Scheune auf, von wo ich am folgenden Tag mit ihnen in das Dorf Elnia, eine halbe Stunde vom Schlachtfeld, gebracht wurde. Hier wurden die verwundeten Württemberger in mehrere // S. 51// Häuser verlegt, und sollten da ihre Genesung abwarten. —