Dieß war der Bürgermeister in NowoGrodek, auf dessen // S. 143// Veranlassung wir unentgeldlich gespeist wurden. Dagegen trafen wir unterwegs in Swierzno einen russischen Militär, den Obersten de Fries, der sich theilnehmend nach unserer Lage erkundigte, und uns das dortige Quartier durch die Einladung zum Edelmann, dessen Freund er war, recht angenehm machte.
Das Land hat auch hier den allgemeinen Character Pohlens. Die Dörfer sind meistentheils, wie ihre Bewohner, armselig, die Städtchen etwas besser, aber weit nicht so gut, wie in denjenigen Provinzen, die ehemals unter preussischer Herrschaft standen. Manche Edelsitze sind schön, und unter diesen zeichnen sich die Güter des Grafen v[on] Tiesenhausen in und bey Zoludek, besonders aus.
Während des Marsches hatte sich meine Augenkrankheit nach und nach verloren, mir jedoch eine Schwäche in den Augen zurückgelassen, die es mir unmöglich machte, auch nur eine halbe Stunde lang unausgesetzt mich mit Lectüre zu beschäftigen.
Im Uebrigen war der Zustand meiner Gesundheit, abgerechnet die Diarrhöe, die mich schon so lange verfolgte, jedoch nicht mehr heftig war, ziemlich gut. Aber am 3. Sept[em]b[e]r ward ich von einer Unpäßlichkeit befallen, die nach etlichen Tagen als ein eigentliches Nervenfieber sich aussprach, und von heftigem Durchfall begleitet war; da es bey dem Transport keinen Arzt gab, und ein solcher mir auch nichts genützt hätte, weil es an Arzneymitteln // S. 144// fehlte, so mußte der Krankheit ihr Lauf gelassen werden, bis wir bey Minsk anlangten. Dort bemühte sich der Lieutenant v[on] Bagnato, mir die Aufnahme in einen Spital zu verschaffen, aber dieß gelang ihm erst, als ich vom Rande des Grabes durch die Kraft meiner Natur und die Hülfe einiger Arzneyen, die mir Dr. Schmidt von Minsk zugesandt hatte, zurückgekehrt war. Am 12. Sept[em]b[e]r ward ich dann in einen Spital gebracht, in welchem ich mit mehreren französischen Officieren , die theils verwundet, theils krank waren, und ihr Elend schwer fühlten, in Ein Zimmer logirt wurde. Die sorgliche Behandlung des Spitalarztes, dem ich von Dr. Schmidt besonders empfohlen war, brachte mich nun in wenigen Tagen so weit, daß ich nicht nur das Zimmer verlassen, sondern auch der Einladung des Dr. Schmidt zu seinem Mittagstisch folgen konnte. Hier ward mir eine angemessene und kräftige Kost, anfangs sparsam, nach und nach reichlicher gereicht, und in weniger als 14. Tagen ward ich wieder genesen.
Dr. Schmidt (aus Geislingen in Württemberg gebürtig) und seine Frau, (eine geborene Willmann von Villingen im Badenschen) hatten sich weit in Rußland einen ehrenvollen Ruf erworben durch die Menschenfreundlichkeit und Grosmuth, mit der sie die Leiden aller Kriegsgefangenen, hauptsächlich aber ihrer deutschen Landsleute, und unter diesen vorzüglich der Württemberger zu mildern // S. 145// sich bemühten, und die sie das Mißfallen der russischen Behörden nicht scheuen Hessen. Mit mir erinnern sich viele — viele Württemberger, Badenser188, überhaupt Deutsche und Franzosen mit herzlicher immerwährender Dankbarkeit der Wohlthaten dieses edlen Paares.
Die Stadt Minsk ist der Sitz eines Gouvernements, stark bevölkert und im Ganzen gut gebaut. Die Cathedralkirche ist ein Meisterstück der Baukunst. Die Lage ist nicht unangenehm. Die Einwohner bestehen gröstentheils aus Polen, gering ist die Zahl der AltRussen. Juden giebt es sehr viele, und hier traf ich sie besonders erbittert gegen die Franzosen und ihre Allirten. Während meines Aufenthalts in Minsk waren wir zu unserer grösten Freude von der Gesellschaft der beiden Herren Laudon und Normann befreit worden. Sie hatten bey der deutschen Legion Dienste genommen. Dagegen hatte die Gesellschaft einen bedeutenden Zuwachs erhalten durch die Ankunft des Majors v[on] Loeffler, der Hauptleute v[on] Brunnow und v[on] Butsch, der Lieutenants Hoelder und Roell, sämmtlich Württemberger, die in der Schlacht von Bautzen gefangen worden waren, so wie des bayrischen Lieutenants v[on] Michel vom 2.ten leichten Infanteriebataillon und des Chir[urgi] Pract[ici] Stoer. Ausserdem waren noch einige weitere Transporte Gefangener angelangt, die sofort in Minsk in Einen vereinigt wurden, um nach Czernigow, als der nächsten Hauptstation abzugehen. // S. 146//
Fünftes Capitel.
Zum Tage des Abmarsches war der 27. September bestimmt. Unmittelbar vor dem Abmarsche nahm ich herzlichen Abschied von der Schmidt-
schen Familie, und erhielt von ihr ohne mein Ansuchen ausser einem guten Hemde als Geschenk, noch ein Anlehen
von 25. Rubel Assignaten
.
Meine Reisegefährten waren ausser den kaum
genannten Württembergern und Bayern, der Kriegs-Commissär Krais und der Lieutenant v[on] Bagnato, sodann der ehemalige preussische
Landrath v[on] Warkaski, ein heller, aber intriganter Kopf, als Russenfeind zur Deportation ins Innere von Rußland bestimmt, der polnische Oberstlieutenant v[on] Ninewski, die Franzosen, Stallmeister Baron v[on] Montaran, die Capitäne Vannacker, Fanchon, Carlier, Claisse, die Lieutenants Léon, George, Dubois, Blanc p.p. im Ganzen 37. Officiere; die Zahl der Unterofficiere und Soldaten belief sich auf etwa 300. Mann. Unsere Escorte bestand aus einem gutmüthigen KosakenLieut[enant], 2. Baschkirenlieutenants, 2. Infanterie-Officieren, 2. Kosaken, 50. Baschkiren und etwa 80. Mann Landwehr (sogenannte Kreuzbauren).
In dieser Begleitung traten wir denn am 27. September den Marsch nach Czernigow, einer ungefähr 150. Stunden // S. 147// entfernten, gegen Kiew hin gelegenen Gouvernementsstadt an. Um den dritten oder vierten Tag wurde immer Rasttag gehalten. Am 6. October erreichten wir die Festung Bobruÿsk, an der uns noch im frischen Andenken stehenden Berezina. Hier sahen wir eben nicht mit groser Freude 2. württembergische Kanonen, welche die Russen in einem Gefechte unweit Koÿdonowo, 5. Meilen von Minsk, erobert hatten. Auch trafen wir da einen württemberg'schen Unterarzt, Namens Dertinger, der im dortigen Spital verwundet wurde. Den 12. Oc- t[o]b[e]r kamen wir nach Rohaczew am Dnieper, am 19. passirten wir den Fluß Sor, und am folgenden Tage hatten wir unser letztes Quartier in russisch Polen. Tags darauf blieben wir in dem altrussischen Dorfe Dobrianka, und am 28. Oct[o]b[e]r erreichten wir die Stadt Czernigow, es ward uns aber nicht vergönnt, in der Stadt zu bleiben, sondern wir wurden in ein dreÿ Werste entferntes Dörfchen verlegt.
Während des ganzen Marsches von Minsk nach Czernigow hatten wir mit vielem Ungemach zu kämpfen. Oft vermochten unsere Pferde nicht weiter zu kommen, und wir waren genöthigt, zu Fuß zu gehen. Die Witterung war veränderlich, zuweilen sehr rauh, die vielen Regengüsse hatten die Straße unwegsam gemacht. In den193 Quartieren erhielten wir nur Dach und Fach, und unser ärmlicher Gehalt reichte oft kaum hin, uns ein Stück trockenen