Seit Mitte des XIX. Jh. begannen die Forschungen der Komparativisten, die die Verwandtschaft der Góttersystemen von indoeuropáischen Vólker festgestellt hatten — das slawische System erwies sich der griechischen, rómischen und indischen verwandt. Den ganzen Pantheon began man vom Pantheon des Indoeuropáischen Urvolk herleiten. Im Geiste der solár-mytholo- gischen Schule leiteten sie die anthropomorphen Gótter aus der Verehrung der Naturkráfte und aus poetischen Allegorien her (D. O. Schepping, A. N. Afanasjew). Im Geiste des Difíusionismus erweiterte A. S. Faminzyn die AufFassung der Slawophilen, wáhrend N. I. Kareew die sekundáre Entstehung des Monotheismus verteidigte. Der Evolutionismus, der in 70en-80en Jahren des XIX. Jh. enstanden wurde, leitete Góttergestalte aus der niederen Demonologie her — aus der Glaube in Gespenste (in RuBland N. F. Sumzow).
Evolutionismus und Diffusionismus wurden in Schaffen von Lubor Niederle and A. N. Vesselowsky geáussert, die hielten, daB die Slawen letztlich keine hohe Mythologie entwickelt hatten und auf der Ebene der Demonologie geblieben waren. Andere Forscher wiesen von anderen Grtinde die Aufbauen der mytholgischen Schule zuriick: sie hoben den Mangel an Fakten hervor und glaubten nicht in die Wahrheitstreue der Hypothesen (W. Jagič, H. Máchal, L. Leger, A. Kirpitschnikow).
Im Schaffen der Forscher des Anfangs der XX. Jh. (E. W. Anitschkow, N. M. Galkowsky, V. J. Mansikka) wurde der Skeptizismus iiberholt, und die Analyze der Belehrungen von orthdoxen Glaubenslehrer gegen den Uberbleibsel des Heidentums trat in Vordergrund heraus. Auf die Belehrungen stutzend, entlehnten die Forscher unwillkurlich auch die kirchliche Beurteilung des Heidentums als einer rohen und primitiven Glaube. Anitschkow meinte, daB Rus von kleinen Góttchen wimmelte, wáhrend groBe anthropomorphe Gótter entlehnt von Varáger waren — hier sttitzte er auf den Aufsatz von S. Róžniecki iiber Perun als angeblich Imitation von Thor.
Polnische Forscher (H. Lowmianski, W. Szafraňski, L. Moszynski) namen in der XX. Jh. die Tradition iiber, die Merkmale des Monotheismus im slawischen Heidentum zu verstárken, was vielleicht den EinfluB des Katholizismus spiegelte. Fur sie war Perun nicht einfach der Haptgott, sondern der einzige Gott, die anderen waren nur seine Hypostases.
Im sowjetischen Milieu sperrte der kriegerische Atheismus fur lange Zeit das Eforschen des slawischen Heidentums: der kritische Eifer der Marxisten wandte sich an die Hauptfeinde — das Christentum und Islam. Aber kurz vor den GroBen Patriotischen Krieg in Zusammenhang mit der generellen Fórderung des Patriotismus im Lande nahm das Interesse zum Heidentum wieder auf. Da waren vier Auffassungen des slawischen Heidentums geschaffen, und in alien vier wurde das Schwergewicht von den Materialien der Geschichte auf Ethnographie und Archáologie verlagert.
Die erste Auffassung wurde von offiziellen Hauptfiguren der sowjetischen Wissenschaft entwickelt — von Akademiemitglieder B. D. Grekow und Boris A. Rybakow. Nach dieser Konzeption besassen die Slawen seit l^ngem dieselbe Territorien als jetzt und schufen einige Tausende Jahre vor uns Pflugackerbau, Staatsorganisation and entwickelte heidnische Religion, die sehr nah an das Christentum herangekommen war.
Die zweite Auffassung wurde von Prof. Wladimir Propp vorgeschlagen, dem Griinder der sowjetischen Semiotik und Fiihrer des Strukturalismus, der in der Stalinzeit in Ungnade verweilte. Nach dieser Auffassung enthielten russische Kalenderfeste verschiedener Jahreszeiten viele gemeinsame.
Komponente wegen Áhnlichkeit der báuerlichen Haptarbeiten. Und da in diesen Festen es keine entwickelten Gótter gab, nahm Propp an, daB das russische Heidentum sie iiberhaupt nicht hatte — es besitze ein besonders archaische Charakter (wie bei Anitschkow, Niederle und Wesselowsky). Kupalo, Jařilo u. a. sind nur «unterentwickelte Gótter».
Die Ansichten von Propp gaben dem Werke von Dmitrij Selenin, der gerade mit der retrospektiven Methode Demonologie studierte, eine weitere Bedeutung. Selenins I^achfolger war der Akedemiemitglied Nikita I. Tolstoj, ein Urenkel von Leo Tolstoj. Der bildete eine einfluBreiche Schule von Ethnographer und Ethnolinguisten. So entstand eine dritte Konzeption des slawischen Pagantums, die auf die Rekonstruktion der alten slawischen Religion nur mit Materialien von Ethnographie gerichtet war. Selbstverstándlich, konnte solche Art der Forschung auf die vergangene Zeit nur das projezieren, was in der lebendigen Kultur erhalten geblieben war, also keine gróssere Gótter. Somit hatten die solidesten professionale Gelehrten die Idee angenommen, daB die alte Slaven nur eine Demonologie (niedere Mythologie) hatten.
Die vierte Auffassung war von Strukturalisten (und schon dadurch Frondierer) Wjatscheslaw Iwanow und Wladimir Toporow gebildet. Sie haben gerade die Namen der slawishen Gótter zugrunde gelegen, sie mit indoeuropáischen Namen, Bezeichnungen und Mythen gegeniibergestellt, und eine entwickelte Mythologie, die von der gemein-indoeuropáischen hergeleitet sein muBte, rekonstruiren begannen (der Grundmythus, der ureigene Streit zwischen Perun und Wolos-Weles). Die Methodik wurde haupsáchlich von Levy-Strauss entlehnt, und sie erlaubte solch eine Freiheit des Ineinklang- bringen, daB die Ergebnisse sehr reich geworden wurden, doch verliessen die Beweisfahigkeit. Es gibt keine direkte Beweise des Streits Peruns mit Wolos, und Wolos (zum Unterschied von Weles) ist iiberhaupt ein neuer Gott, eine Umgestaltung des christlichen Heil. Blasius, bulg. Vlas).
Was betrifft Rybakowsche Auffassung, verteilte ich ihr eine ausfiihrliche Kritik, denn seine Werke waren, und ťur ein nichtwissenschaftliches Publikum bis jetzt bleiben, die einfluBreichsten. Seine Quellen (denen ganze Kategorien er professional nicht besaB) sind betrachtet, sowie seine Methodik (unglaublich veraltet) und seine Ausfuhrungen (nach heutigen Kriterien haltlose, oft einfach anekdotehafte). Trotz allerdem, das Talent des Akademiemitglieds nach Gebiihr wtirdigt ist, wie auch seine Leistungsfahigkeit und Enthusiasm.
Es ist von Bedeutung, daB seine Werke Ausgangsbasis ťur neo-Heiden geworden sind, die seit 70-n immer mehr unter neuen religiósen Bewegungen auffallen sind. Hervorgerufen durch Nationalismus in Bedingungen der Krise der orthdoxen Religion, diese Bewegung hat eigentlich reále Daten iiber alte heidnische Kulte und Bráuche ignoriert und neue Kulte und Bráuche schaffen begann, zum Teil aus indischen und germanischen Kultpraktik entlehnt und auf Propaganda einer harten urtumlichen Ideologie gerichtet: Hasse zu Fremdstámmigen, Raufsucht, Isolationismus und nationalistische Solidaritát. Ekologische Losungen der Gegenwart (Respekt zu Natur) gewinnen bei ihnen eine Form der Absage von Prinzipien und Normen der Zivilisation.
Eine Analyse der echten ost-slawischen Kulten und Mythologie erweist sich als gegenwártig auch daffir, die neo-Heiden im Lichte der Realitát zu sehen.