Viertes Capitel.
Unsere Cantonnirung bey Neidenburg währte nur 3. Tage, nach deren Verfluß wir durch die nachrückenden Bayern um einen
// S. 26// Tagmarsch weiter vorgeschoben wurden. Zwischen Passenheim und Wartenburg wurden die Cantonnirungsquartiere auf's Neue aufgeschlagen. Mich führte ein gutes Glück in das Haus des Gutsbesitzers Frey tag in Pattaunen, wo ich 12. recht angenehme Tage verlebte. Meine Genügsamkeit und Sorge für Erhaltung einer guten Mannszucht hatten die Freytag'sche Familie sehr für mich eingenommen, und nur ungern ließ sie mich scheiden. Aber meines Bleibens war hier nicht, und so zog ich denn am 23.ten May, von den herzlichen Glückwünschen dieser guten Leute begleitet, ab, um bey Rössel in eine neue Cantonnirung zu gehen. Tags darauf wurde ich mit einem Commando von 12. Mann zur Unterhaltung der Communication mit den Vorposten nach Goldap geschickt, wo ich an dem schönen grosen Kloster, dieh[eilige] Linde genannt, vorbey über Rastenburg und Angerburg am 26.ten ankam, nachdem ich unterwegs noch mehrere reiche Domänen, sogenannte Aemter, wie Popiollen und Sperling, gesehen hatte. Dort löste ich den preussischen Husaren-Lieutenant v[on] Teschen ab, und hatte ausser meiner Hauptstation noch 2. Nebenstationen zu besetzen. Durch einen Aufenthalt von 8. Tagen, während welcher Zeit ich bey dem braven Amtmann Reutter von Waldaukadel im Quartier stand, waren mir mein Wirth, der Justiz-Amtmann und Bürgermeister der Stadt, so lieb geworden, daß ich mich ungern von ihnen trennte. Ich hatte bey den Ostpreussen mehr guten Willen, mehr // S. 27// Offenheit und Herzlichkeit gefunden, als bey den Brandenburgern. Der Theil von Ostpreussen, den ich bis daher gesehen hatte, ist meistens sehr fruchtbar; der Städter und Landmann lebt zwar nicht im Ueberfluß, doch meistens ohne grose Nahrungssorgen. Die Städte sind gut gebaut, und man sieht einzelne geschmackvolle Häuser. Was mir besonders gefiel, sind die sehr großen Marktplätze, sogenannte Ringe, in den Städten, worauf die Bewohner einen sehr grossen Werth zu legen scheinen. Die Dörfer zeugen von ziemlicher Armuth, ohne jedoch eigentlich ärmlich zu seyn, und sind meistens rein gehalten.
Fünftes Capitel.
Bis hieher hatte ich, den Marsch durch Pohlen ausgenommen, gute Tage verlebt, und in meinem ganzen bisherigen Leben zählte ich wenige Tage des Leidens, aber keine der Noth. Jetzt sollte ich alle erdenklichen — die gräßlichsten Scenen des Unglücks, Jammers und Elends nicht nur sehen, sondern selbst fühlen. Hievon aber war noch kein Gedanke in mir. Die goldenen Träume von Rußland waren zwar durch die Erzählungen der Pohlen und Preussen entschwunden, und ich war nüchtern geworden, aber weder ich, noch andere hatten nur eine Idee von dem Gräßlichen, das uns bevorstand. // S. 28//
Mit minder leichtem Mute trat ich am 4. Juny den Marsch nach Olezko an. Nach einigen Tagen traf ich mit meinem Regiment zusammen, und betrat am 14.ten zum zweytenmale das Herzogthum Warschau. In Würballen wurde uns noch etliche Tage Ruhe gegönnt, die zur Requisition von Lebensmitteln aus der Umgegend benützt wurde. Auf Napoleons Befehl versah sich jedes Regiment auf 23. Tage mit Lebensmitteln. Starke Commandos durchzogen diesen ganzen Theil des Herzogthums Warschau, durchsuchten die Häuser, nahmen an Lebensmitteln, was zu finden war, und liessen den Einwohnern nur einen 8tägigen Bedarf. Auch ich hatte eines jener empörenden Commandos, und noch ergreift mich beym Gedanken an dasselbe ein Schauer. 8. Tage nachher beym Uebergang über den Niemen wurde der grössere Theil dieses Raubes stehen gelassen, ob auf höhern Befehl, oder Veranstaltung der französischen Commissärs, weiß ich nicht, so viel aber ist gewiß, daß diese die Ungeheuern Vorräthe nachher um grose Summen verkauften.
Am 18. Juny fieng die große Armee an, sich näher zusammen zu drängen, und große Truppenmassen schoben sich gegen die Ufer des Niemens hin. Ein kleines Intermezzo machte noch bey Mariampol die Heerschau des Divisions-Generals Montbrun über etwa 10,000. Mann Cavallerie, aber noch am nämlichen Tage glaubten wir den Feldzug eröffnen zu müssen, da wir // S. 29// mehrere Stunden in ausgesetztem Trabe vorrückten. Am 22. und 23. Juny wälzten sich endlich über die weitausgedehnten Ebenen dicht gedrängt unabsehbare Massen an den Gränzfluß vollends hinan, und harrten nun des Zeichens zum Uebergang. Schon mehrere Tagmärsche hatte die französische Armee ihren Zug durch Raub und Verwüstung des armen Landes bezeichnet, wie sollte es nun in Feindes Land werden?
Abends am 23. Juny wurden 1. Stunde oberhalb Kowno 2. Pontonsbrücken ohne Hinderniß geschlagen, und einige Cavallerie-Regimenter setzten über.
Am 24. Juny Morgens mit Tages-Anbruch fieng der Uebergang der grosen Armee über den verhängnisvollen Strom an. Es war ein herrlicher Morgen; aber Nachmittags umzog ein furchtbares Gewitter den Horizont, und goß den Regen in Strömen herab. In 2. Tagen, die Nächte mit eingeschlossen, während welcher Zeit ein Regiment und ein Corps immer das andere drängte, war der Uebergang vollbracht.
Die Division des Generals Watier de S[ain]t Alphonse an der Spize der Armee, gieng in 2 1/2. Tagen
über Rumzisky und Zismory bis Sobilisky halbwegs
Troky vor. Die wenigen Feinde, die sich hie und da sehen liessen, wichen schnell zurück, ohne ihr Glück mit uns versuchen zu wollen; den 26. Abends zeigten sie sich in bedeutender Menge, kehrten aber, als sie uns zum Angriff // S. 30// gerüstet sahen, bald wieder zurück. Am 27. rückte die ganze Armee näher zusammen, um bey Wilna mit der russischen Armee zu schlagen, aber die Russen verbrannten nur die Hauptmagazine in Wilna, zerstörten die Brücke über die Wilia, und ließen die grose Armee beinahe ohne Blutverlust den 29. in Wilna einziehen. Auf 2. Strassen drängte sich von hier aus die grose Armee so schnell als möglich vorwärts, um die fliehenden Russen zu erreichen, welche ihren Rückzug auf Dünaburg hin nahmen. Unsere Division hielt sich auf einer Neben Strasse, welche über Widsy und Braslaw führt. Die leichte Reiterey der Feinde machte nun bey nahe täglich Miene, sich halten zu wollen, und nahm kleine Gefechte mit der unsrigen an; der Verlust war auf beiden Seiten unbedeutend, aber die Russen erreichten ihren Zweck, unser Vorrücken aufzuhalten. Bey Swinsiany sollte am 4. July Rasttag gehalten werden, und nun griffen die Russen an, und brachten uns wenigstens um den halben Nutzen des Ruhetags.
Den 5. July sehr früh trat das Corps den Marsch wieder an und holte nach 1/2. Stunde den absichtlich langsam zurückgehenden Feind ein. Rasch sollte der Angriff beginnen, aber noch rascher hatte sich der gröste Theil der russischen Arrieregarde zurückgezogen, und einen Theil seiner Plänkler, so weit es das Terrain zuließ, rechts und links an der Straße vertheilt. // S. 31//