Книга На войне под наполеоновским орлом. Дневник (1812-1814) и мемуары (1828-1829) вюртембергского обер-лейтенанта Генриха фон Фосслера, страница 86. Автор книги Генрих Август Фон Фосслер

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Cтраница 86

Am 7.ten Dec[em]b[e]r Vormittags kam ich mit dem Quartiermeister Veihelmann in Wilna an, mein Bedienter war auf einem Dörfchen, wo wir die lezte Nacht zugebracht hatten, aus113 Entkräftung gestorben.

Eilftes Capitel.

In Wilna fand ich mit vielen Württembergern eine Unterkunft in einem Hause, wo wir wenigstens gegen die gröste Kälte geschützt waren. Die Einwohner waren alle noch da. Es fehlte nicht an Lebensmitteln. Von der württembergischen Kriegs-Casse erhielten wir Geld, Vorschüsse, und die Officiere hatten ihren Sammelplatz im Lichtenstein'schen Caffeehaus. Ich versah mich mit Kappe, Handschuhen und Stiefeln von Pelz. Ich sammelte wieder einige Kräfte, und gab den Entschluß, in Wilna zu bleiben, auf. Meine 2. Pferde hatten sich ebenfalls wieder erholt. Die Cavallerie-Officiere sammelten sich um den General Grafen v[on] Normann, unter seiner Anführung wollten wir das russische Gebiet verlassen, und hatten wir erst einmal den Niemen hinter uns, so sollte es jedem freistehen, den weiteren Rückzug nach Gutdünken zu verfolgen.

Der General Normann hatte, die Schwierigkeiten erwägend, // S. 79// die mit unserem Marsche auf der großen Heerstraße verbunden seyn würden, mit unserer Zustimmung den Entschluß gefaßt, auf Seitenwegen nach Olitta hin zu ziehen, und zu diesem Ende hatte er einen Juden angeworben, der als Wegweiser dienen sollte. Eben darum aber, weil wir nicht mit der grosen Masse der Flüchtlinge ziehen wollten, hatten wir unsern Abmarsch von Wilna so lange als möglich verschoben, und verließen diese Stadt erst am 9. Dec[em]b[e]r Vormittags, wenige Stunden vor der Ankunft der Russen. Unser Weg führte meistens durch Waldungen auf ungebahnten Strassen, durch wenige Dörfer, deren Einwohner alle noch da waren, und uns mit Nahrungsmitteln versahen. Zweimal übernachteten wir und am dritten Tage Mittags erreichten wir ohne irgend einen Unfall das Städtchen Olitta, am Ufer des Niemen gelegen. Hier stärkten wir uns mit einem tüchtigen Glase Schnaps, und zogen denn feierlich über den gefrorenen Fluß mit Empfindungen des Dankes für unsere Rettung. So hatten wir uns114 als wir wenige Monate vorher diesen Fluß mit den grösten Erwartungen überschritten, die Rückkehr nicht gedacht, aber es war uns gut, daß wir davon nicht die leiseste Ahnung hatten, denn wer hätte Geistesstärke genug gehabt, solchem Ungemach, wie wir es so eben erduldet hatten, entgegen zu gehen? — Auf dem diesseitigen Ufer des Niemen, schon im Herzogthum Warschau, liegt ein Dörfchen, das uns recht erträgliche Quartiere bot, aber der Kälte und unserer Entkräftung nicht achtend, eilten wir, uns von dem unglückseligen // S. 80// Flusse zu entfernen, der die Reihe unserer Leiden eröffnet hatte. Noch am nämlichen Tage giengen wir bis Lieziskelli und an den zwey folgenden Tagen durch Szemno nach Kalvary, wo sich die Gesellschaft trennte, und jeder den Weg einschlug, auf dem er am schnellsten und besten fortzukommen hoffte.

Ehe ich aber weiter gehe, und meine Rückreise ins Vaterland erzähle, will ich noch einen Blick zurückwerfen auf den Rückzug aus Rußland, und ein allgemeines Gemälde desselben zu geben versuchen, denn von jetzt an zähle ich mich nicht mehr als ein Mitglied der grosen Armee, ich habe von ihr nichts mehr zu sagen, nur allein von mir als einem einzelnen Reisenden zu reden. Das Gemälde des Rückzuges will ich aber so geben, wie ich es mit meinen eigenen Augen gesehen habe, nur Thatsachen will ich schildern, deren Augen- oder Ohrenzeuge ich selbst war, und nur weniges will ich anführen, das ich von andern, jedoch glaubwürdigen Personen gehört habe.

Mit dem Abmarsch des Kaisers von Moskau beginnt der Rückzug. Dort fieng die Auflösung der Armee an; viele Regimenter hatte beinahe alle ihre Mannschaft, die Cavallerie, Artillerie, der [sic!] Train, ihre Pferde verloren.

Es fehlte an Magazinen, jeder war sich selbst überlassen, mußte selbst für seinen Unterhalt sorgen. Als die Armee Moskau verließ, hätte sie durch die indessen Genesenen wieder bedeutend stärker // S. 81// seyn sollen, statt dessen war sie um vieles schwächer geworden. Einige mehr oder weniger bedeutende — meistens unglückliche Gefechte reichten hin, die Auflösung allgemein zu machen. Bey Dorogobusz stiessen die ersten Flüchtlinge zu uns. Sie waren alle in Moskau gewesen, dort hatten sie geplündert, dort hatten sie mitgenommen, was mitzunehmen war. Wir waren erstaunt über ihren Aufzug. Wenige waren ohne Waffen, die meisten nur mit Einem Waffenstück versehen, und war es auch ein Schießgewehr, so war es entweder unbrauchbar, oder fehlte dem Besitzer die Munition. Es waren keine Soldaten mehr, nur Marodeurs und Traineurs , ohne alle Disciplin, mit einzelnen Monti- rungsstücken behängen, aber reichlich bepackt mit wollenen Tüchern, Leinwand, seidenen Zeugen aller Art und Farben, Pelzen von Herren und Damen, Schlüpfern, Paladinen , Krägen, Mänteln vom Zobelpelz herab, bis zum Schaafpelz, Hüten, Kappen und Mützen von allen Formen, Schuhen, Stiefeln, Stutzen und Reitermänteln, Küchengeräth von Kupfer, Messing, Eisen, Blech, von jeder Form, Haushaltungsgegenständen, wie Löffel, Gabeln, Messer von Silber, Blech und Eisen, zinnernen Tellern und Schüsseln, Gläsern und Bechern, Scheeren, Nadeln, Faden, Wachs p.p., kurz mit allen Gegenständen, die der Reisende zu Fuß und zu Wagen, der Handwerker, der Künstler, nur immer bedarf. Manche erschienen zu Fuß, und hatten ihre Beute schon verloren, oder weggeworfen, viele kamen zu Pferde, meistens // S. 82// auf elenden russischen Bauerpferden, andere auf Wagen, Troschken, in Chaisen aller Art, in Staatskarossen. Mancher gemeine Soldat hatte zu seiner und der Bedienung seiner Pferde, zu Besorgung seiner 2. 3. 4. Chaisen und Karossen, andere gemeine Soldaten als Bediente angenommen. Dieß war der Aufzug, in dem sich uns die ersten Flüchtlinge zeigten. Diesen folgte täglich eine grösere Zahl. Mit diesem Volke, das sich seiner und seiner Leute Sicherheit wegen, an unser Detaschement angeschlossen hatte, zogen wir weiter. Alle Subordination120 hatte aufgehört. Wenn Feinde sich zeigten, so drängten sich die Elenden, wie Schaafe vor dem Wolfe, in einem Haufen zusammen, und überließen die Gegenwehr uns und andern, die noch nicht alles Ehrgefühl abgelegt hatten. War aber

der Feind wieder aus dem Gesicht verschwunden, so waren sie die vordersten und lautesten, und waren irgendwo Lebensmittel zu finden, so waren sie es, die solche den Bewaffneten, ihren Beschützern, weghaschten. Je weiter aber der Rückzug sich fortsetzte, desto mehr Truppen lösten sich auf, desto größer war die Zahl jener Unglücklichen. Täglich erschöpften sich viele durch die mühsame Fortbringung ihrer Beute, täglich blieben viele zurück, und fielen selbst als Beute in die Hände der Russen. Andere Klügere warfen bey Zeiten den Raub weg, ließen Kutschen und Wagen stehen, und suchten sich Waffen zu verschaffen. Lebensmittel hatten die wenigsten mitgebracht, nur um Geld und Geldeswerth drehte sich ihr Sinn, daher // S. 83// je weiter wir zogen, desto schwerer fanden wir unsern Unterhalt. Viele lebten von Zucker, und wenn dieser aufgezehrt war, von Pferdefleisch, oder Fleisch von gefallenem, zum Theil schon verwesendem Vieh. In einem Dorfe sah ich Franzosen, wie sie Vieh, das wahrscheinlich an einer Seuche gestorben war, aus einem Loche ausgruben, über dem Feuer rösteten, und mit gröstem Appetit verzehrten. Alle diese Drangsale vermehrte und erhöhte der Frost, der am 8. Nov[em]b[e]r eintrat. Nun wurden die eingepackten Kleidungsstücke hervorgezogen, und der ganze Zug glich einer Masquerade. Der Weg war ganz abgeglättet. Mühsam schleppte sich der Fußgänger auf dem schlüpfrigen Boden fort, mühsam giengen die Pferde, die längst beschlaglos waren. In jedem Defilee entstand die entsetzlichste Verwirrung. Hunderte von Wägen häuften sich, jeder suchte dem andern vorzufahren, keiner wollte Zurückbleiben, die armen Pferde wurden gräßlich mißhandelt, ein, zwey, drey und mehrere Defileen überwanden sie glücklich, endlich blieben sie stecken, und vermochten die Last nicht mehr herauszuziehen. Die Wägen, die nicht weiter gebracht werden konnten, wurden umgestürzt, zertrümmert, verbrannt, die Effecten geplündert, die Kanonen, wo möglich, ins Wasser versenkt, oft vernagelt, zulezt gerade zu121 stehen gelassen. Der Cavallerist trieb sein Konji mit dem Sattel beladen, mit der Beute behängt vor sich her, endlich blieb es stehen oder liegen, und nun diente es seinem Herrn noch zur Nahrung. Die Kraftlosen suchten irgend ein Feuer, ein Haus zu erreichen, // S. 84// und wenn sie sich etwas erholt hatten, und wieder weiter zu gehen vermochten, so wurde das Haus, um sich zuvor noch zu wärmen, angezündet, oder thaten dieß andere, die sich während des Marsches eine halbe Stunde lang wärmen wollten. Das NachtQuartier suchte man wo möglich in Dörfern zu nehmen. Jedes Haus mußte der Unglücklichen so viele aufnehmen, als der Raum gestattete, aber noch weit mehrere brachten die Nacht unter freiem Himmel zu, und zündeten oft, theils um sich zu wärmen, theils

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